Der Schandbote – Umherirren

Der Schandbote meldet sich nochmal aus der Rente nach dem Abitur, so empfindet er das zumindest. 13 Jahre war ich Schüler, neun dieser Jahre verbrachte ich am GBG. Noch stellen für mich diese 13 Jahre eine Ewigkeit, einen riesigen Teil meines Lebens, dar. Noch war es mir fremd, mich am ersten Schultag nach den Sommerferien nicht aus dem Bett zu kämpfen und den Südflügel wie einen Schlachthof zu durchqueren, um mich dem Unterricht und Hausaufgaben zu stellen.
Das Abitur war ein monatelanger, einziger Fiebertraum. Jahrelange Vorbereitung und Mahnungen vor dem Abitur, waren mit einem Schlag vorüber – plötzlich bekam man das Abiturzeugnis in die Hand und wurde raus in die Welt entlassen, förmlich ins kalte Wasser geworfen. Mein Aquarium platzte und ich wurde in den weiten Ozean gespült. Langsam verblassen die binomischen Formeln und Potenzgesetze, die ich widerwillig in mein Gedächtnis presste – langsam aber doch zügig nähert sich der Semesterbeginn der Universität. Ein neuer Lebensabschnitt, den ich als Kind ehrfürchtig erwartete und jetzt plötzlich unspektakulär und gleichwohl irgendwie beängstigend scheint.
Als Klagemeister beschwerte ich mich vor einigen Monaten über die mir drohende Ungewissheit über mein Leben und machte sogar das deutsche Schulsystem dafür verantwortlich – und doch bewirkte der
Druck der Zeit das Unglaubliche und ich fand für mich einen passablen Weg für die nächsten Jahre.
Dennoch fühlt sich die Freiheit, die Qual der Wahl und die Erkenntnis, dass einzig ich allein Verantwortung über mein Leben trage, befremdlich an. Ich fühle mich noch nicht bereit, den Radius meiner Gewohnheiten zu verlassen.
Gleichzeitig beneide ich all jene Experimentierfreudigen, die erstmal die Welt bereisen. Natürlich braucht man dafür eine gewisse finanzielle Kraft – aber in erster Linie auch den Mut. Und dieser fehlt mir.
Stattdessen verwese ich in den eigenen vier Wänden, in denen sich vor Kurzem Bewerbungsunterlagen bis an die Decke stapelten, prüfe nahezu auf neurotische Weise den Briefkasten – oh bitte, jetzt bloß keinen Ablehnungsbescheid vorfinden.
Die während des Abiturs ersehnte Freizeit, die mir nun in Unmengen zusteht, wird nicht produktiv und wertschätzend genutzt. Mein Alltag füllt sich mit verzweifelten, kleinen Sidequests, mit dem Versuch, mich nicht ganz aufzugeben. Freizeit ist letztlich etwas Wertvolles, wenn sie nicht selbsverständlich ist. Denn sobald man alle Zeit der Welt hat, wird sie belanglos oder gar anstrengend.
Eine Beschäftigung gibt uns umherirrenden Individuen den Halt, den uns der Verlust einer Routine entwand.
Oh je.
Ist es armselig, dass ich in melodramatischer Form der Schulzeit hinterhertrauere und mich in Nostalgie schwelge, obwohl die Schulzeit erst Monate zurückliegt?
Man mag es kaum zugeben. Aber die Schulzeit war eine Reise mit ihren Höhen und Tiefen, die je nach Person in ihrem Vorkommen variierten. Mit Gänsehaut blicke ich auf schlaflose Nächte vor Klausuren zurück und erinnere mich an katastrophales Prokrastinieren der Hausarbeiten. Ich schaue auf die unnötig komplizierten Online-Portale meiner Universität und vermisse das einfache IServ, welches ich vor einigen Monaten noch verdammt habe. Ich sehe Schulbusse an mir vorbeifahren und freue mich, nie wieder in der Busschlange zerquetscht zu werden – doch vermisse Plaudereien mit meinen Mitschüler*innen im wohlbehüteten, reservierten Vierersitz-Komplex. Nun vermisse ich selbst jene Schultage, an denen ich manisch alle paar Minuten auf die Uhr starrte und mir wünschte, dass sich der Der Schandbote – Umherirren Unterricht bald beende. Ja – irgendwann war ein solcher Tag der letzte seiner Art. Vergänglichkeit und Veränderung ist für viele, wie auch mir, eine beängstigende Tatsache – und doch muss man sich dieser stellen. Auch die Phase der Selbstfindung birgt ihre Turbulenzen, in denen man durch das Ungewisse wirbelt. Plötzlich scheint es, als müsse man den Plan seines Lebens parat finden, muss auf Alternativen abspringen und ist gezwungen sich einzugestehen, dass viele Pläne über die Zeit nach der Schule romantisierte Träumereien darstellen. Dies möge euch bitte nicht vom Träumen abhalten – und doch will ich den angehenden Absolvent*innen mit auf den Weg geben, dass es in Ordnung ist, sich nach der Schule erstmal ein wenig aufgeschmissen zu fühlen.
Irgendwann fängt euch der neue Lebensabschnitt auf und die Schulzeit rückt immer weiter in die Vergangenheit, an welche ihr euch hoffentlich freudig erinnern werdet.

Einige meiner Schulbücher sind nun verkauft und symbolisieren damit für mich damit den Abschluss.
Und ich, der Schandbote, werde auch außerhalb der Schule genug zum Beklagen finden.
Es war mir eine Freude!

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