Was macht ein Bundestagsabgeordneter?

„Matthias Miersch“ by Foto-AG Gymnasium Melle is licensed under CC BY-3.0

Interview mit Matthias Miersch
-unser Bundestagsabgeordneter-

Da ich mich seit langer Zeit für Politik und politische Prozesse auf Bundes- und EU-Ebene interessiere und ich mir auch selbst vorstellen kann, eines Tages Abgeordneter im Deutschen Bundestag zu sein, habe ich mein Betriebspraktikum in dem Wahlkreisbüro unseres Bundestagsabgeordneten, Dr. Matthias Miersch, verbracht.
Matthias Miersch ist am 19. Dezember 1968 in Hannover geboren. Er studierte an der Leibniz-Universiät- Hannover Rechtswissenschaften und promovierte auch in diesem Gebiet. Seit 2005 ist er direkt gewähltes Mitglied des Deutschen Bundestages und gehört der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands an. Zu seinem Wahlkreis Hannover-Land II gehören die Gemeinden Barsinghausen, Gehrden, Hemmingen, Laatzen, Lehrte, Pattensen, Ronnenberg, Seelze, Sehnde, Springe, Uetze und Wennigsen.
Da wir selbst Teil seines Wahlkreises sind, hatte ich die Möglichkeit Herrn Miersch einige interessante Fragen zu stellen, welche ihr im Folgenden, zusammen mit seinen Antworten, lesen könnt.

1) Persönliche Fragen

Wie sind Sie zur Politik gekommen, was hat Sie dazu bewogen, Politiker zu werden?

„Mit 21 Jahren bin ich in die SPD eingetreten, da die SPD mit ihrer Tradition und ihrer Politik in der deutschen Geschichte wie keine andere Partei für die Grundwerte Solidarität, Chancengleichheit und soziale Gerechtigkeit steht. Für den Rat der Stadt Laatzen kandidierte ich erstmals 1991, weil ich die Situation für Kinder und Jugendliche in Laatzen verbessern wollte. Meine Erfahrungen in der Jugendarbeit und im Sport haben mich dazu besonders motiviert. Mir war damals klar, dass ich nur etwas bewegen kann, wenn ich mich aktiv beteilige. Auf meinem politischen Weg habe ich viele Weggefährt:innen getroffen, mit denen ich vor Ort gemeinsam wichtige Projekte umsetzen konnte. Das ist heute natürlich immer noch so. Politik macht mir Spaß, weil man für spürbare Verbesserungen sorgen kann.“

Was wären Sie, wenn Sie nicht Politiker oder Jurist wären?

„Dann wäre ich wahrscheinlich Lehrer geworden. Der Austausch mit Schüler:innen ist für mich auch in meiner Arbeit als Bundestagsabgeordneter sehr wichtig. Deshalb führe ich Schulprojekte durch, habe einen festen Austausch mit den Jugendparlamenten und -beiräten meines Wahlkreises, besuche die Schulen sehr regelmäßig und lade Klassen ebenso nach Berlin ein.“

Was sind Ihre politischen Schwerpunkte?

„In meiner Tätigkeit als Bundestagsabgeordneter mache ich mich seit über 17 Jahren auf Bundesebene für Klima- und Umweltschutz, Landwirtschaft und den massiven Ausbau der Erneuerbaren Energien stark. Von 2009 bis 2017 war ich umweltpolitischer Sprecher der SPD- Bundestagsfraktion. Seit 2017 bin ich stellvertretender Vorsitzender der SPD-Bundestagsfraktion für die Bereiche Umwelt, Klima, Energie, Landwirtschaft und Verbraucherschutz.“

Wie sieht der Alltag eines Politikers aus und inwiefern unterscheidet sich dieser von normalen Menschen?

„Zunächst einmal sind Politiker:innen ganz normale Menschen. Auch ich gehe gerne auf Konzert, treffe mich mit Freund:innen bei meinem Lieblingsitaliener oder mache gerne Sport. Die Besonderheit, die so ein Bundestagsmandat mit sich trägt, ist, dass wir zwischen dem Wahlkreis, unserem Zuhause, und dem politischen Berlin wechseln müssen. Das wird davon beeinflusst, ob der Deutsche Bundestag zu einer Sitzungswoche zusammenkommt. Das ist in etwa jede zweite Woche. Die anderen Wochen sind wir in unserem Wahlkreis. Wie bei vielen Arbeitnehmer:innen ist es bei uns Politiker:innen auch so, dass wir große Projekte haben, z. B. Gesetzesverhandlungen, die wir zügig voranbringen müssen. Da ist es üblich, dass eine Arbeitswoche auch mal 80 Stunden beträgt.“

Was mögen Sie besonders an Ihrer Arbeit, und was stört Sie eher manchmal am Politikerdasein? 

„Es ist ein großes Privileg, als Volksvertreter für viele Menschen ein Bundestagsmandat ausüben zu dürfen. Täglich dazu beizutragen, die Demokratie in Deutschland zu stärken, ist eine besondere Aufgabe, für die ich sehr dankbar bin. Der direkte Kontakt mit den Bürger:innen ist für mich hierbei sehr wichtig. Denn so erfahre ich von Herausforderungen, zu deren Verbesserung ich
in meiner Arbeit als Bundestagsabgeordneter beitragen kann: manchmal direkt, manchmal durch das Adressieren an meine Kolleg:innen. Grundsätzlich ist mir wichtig zu betonen: Politisch zu gestalten, ist keine einfache Aufgabe. Gerade bei den großen Zukunftsaufgaben ist es oft so, dass bei der konkreten Ausgestaltung vor Ort es zu Problemen kommt. Beispielsweise beim Ausbau von Windkraft: Sehr viele Menschen sind für den Ausbau erneuerbarer Energien, aber einige von ihnen möchten zugleich kein Windrad in der Nähe ihres Wohnhauses. Die verschiedenen Interessen zusammenzubringen und für einen Kompromiss zu sorgen, hinter dem sich alle Beteiligten versammeln können, ist oft nicht leicht, lohnt sich aber, damit man Zukunft gestalten kann.“

Ab welchem Amt kann man als Politiker leben?

„Viele Menschen, die als Politiker:innen gesehen werden, machen das tatsächlich in ihrer Freizeit. Das sind größtenteils alles Menschen, die sich auf kommunaler Ebene politisch engagieren, so beispielsweise im Rat der Stadt Seelze oder in der Regionsversammlung. Für dieses Ehrenamt enthält man eine Aufwandsentschädigung. Eine Abgeordnetendiät erhalten Politiker:innen erst ab dem Einzug in den Landtag, auch dann erst setzen sie in ihrem Beruf aus.“
Wie viel Zeit Ihrer Arbeit wird von repräsentativen Aufgaben beansprucht?
„Ich repräsentiere in meinem Mandat die Menschen aus den 12 Kommunen meines Wahlkreises. Eine repräsentative Funktion wie ein Präsident o. Ä. bekleide ich aber nicht.“

Haben Sie schon einmal Korruption erlebt?

„Ich persönlich habe noch keine Korruption erlebt. Auf meiner Homepage erläutere ich unter der Rubrik „Gläserner Abgeordneter“ diesbezüglich meine Prinzipien: https://www.matthias- miersch.de/glaesener-abgeordneter/„

Was zeichnet einen guten Politiker aus?

„Aus meiner Perspektive ist es für gute Politiker:innen wichtig, Rückgrat und einen moralischen Kompass zu haben. Das ist die Grundvoraussetzung, um konsequent handeln zu können. Kritikfähigkeit, Transparenz, Verbindlichkeit und Empathie gehören darüber hinaus für mich ebenso dazu.“

Haben Sie ein politisches Vorbild und wenn ja, warum?

„Für mich ist Kurt Schumacher ein Vorbild, der als Oppositionsführer im Ersten Deutschen Bundestag ab 1949 unsere Verfassung und unsere Demokratie maßgeblich mit formte.“

Wer ist Ihrer Meinung nach der Politiker des Jahrhunderts?

„Das letzte Jahrhundert wurde wirklich von vielen bedeutenden Politiker:innen geprägt. Für mich steht Nelson Mandela stellvertretend für viele Persönlichkeiten, die Meilensteine in der Politik und Gesellschaft erreicht haben.“

Was tun Sie in Ihrer politischen Arbeit für die Jugend?

„Die Themen, die ich im Deutschen Bundestag bearbeite, haben alle etwas mit der Sicherung der Lebensgrundlagen für nachfolgende Generationen zu tun. Das betrifft Klima, Umwelt und auch Ernährung. Deshalb macht mir die Arbeit in diesen Themenfeldern sehr viel Spaß. Darüber hinaus war mir die Zusammenarbeit mit Jugendlichen immer schon ein ganz wichtiges Anliegen. Zuletzt habe ich als Bundestagsabgeordneter den „Zukunftsausschuss“ eingerichtet. Im Rahmen dieses institutionalisierten Austausches komme ich mit den Jugendparlamenten und -beiräten meines Wahlkreises zusammen. Hierbei diskutieren wir über aktuelle Themen und erarbeiten in Workshops Ideen für Themen wie z. B. den Öffentlichen Personennahverkehr. Außerdem habe ich im Laufe der Zeit fünf Schulprojekte an den Schulen meines Wahlkreises durchgeführt, das sechste ist in Planung.“

Ist die Jugend heute politischer als früher? Wenn ja, sehen Sie diese
Entwicklung positiv?

„Wenn wir in die Geschichte schauen, meine ich, dass jede Zeit auch verschiedene Bewegungen hervorruft, beispielsweise die 68er-Studierenden-Bewegung um Rudi Dutschke. Grundsätzlich empfinde ich es immer positiv, wenn sich junge Menschen verantwortungsvoll am gesellschaftlichen Diskurs beteiligen und ihre Perspektiven einbringen.“

2) Klimapolitische Fragen

Was ist die größte Herausforderung unserer Zeit und der künftigen
Generationen?

„Das ist für mich eindeutig der dauerhafte Zusammenhalt in der Gesellschaft. Dieser Zusammenhalt kann aus meiner Sicht nur gesichert werden, wenn es uns gemeinschaftlich gelingt, die sozial-ökologische Transformation sozialverträglich zu gestalten und niemanden in diesem Prozess zurückzulassen!“

Stärkung des ÖPNV oder Straßenausbau. Wo setzen Sie den Schwerpunkt?

„Ganz klar: Der Schwerpunkt muss auf der Stärkung des ÖPNV liegen. Busse und Bahnen müssen bezahlbarer, die Anbindungen und Taktungen verbessert sowie die Digitalisierung und Barrierefreiheit ausgebaut werden. Nur so wird es gelingen, die Klimaziele im Verkehrssektor zu erreichen und Menschen zum Umstieg vom Auto auf den ÖPNV zu motivieren. Aus meiner Sicht ist das Deutschlandticket hierbei ein großer Meilenstein, der das ÖPNV-System in Deutschland revolutionieren wird.“

Wie stehen Sie zur Atomkraft?

„Atomkraft ist nicht nachhaltig und unwirtschaftlich. Wir hinterlassen 30.000 Generationen nach uns Müll, von dem wir nicht wissen, wo wir ihn lagern sollen. Es liegt an der Koalition, alle Kraft darauf zu verwenden, die im Koalitionsvertrag festgelegten Ausbauziele der Erneuerbaren Energien zu realisieren. Der massive Ausbau der Erneuerbaren Energien ist der einzige Schlüssel für mehr Versorgungssicherheit, Energiesouveränität und Nachhaltigkeit. Deshalb: Atomkraft, nein danke!“

Auf welche Energieträger soll Niedersachsen bauen?

„Da ist für mich ein Mix aus Erneuerbaren Energien wichtig. Niedersachsen ist als Küstenland besonders geeignet für die Windenergie und ist bereits Windland Nr. 1, worauf sehr gut aufgebaut werden kann. Auch in der Region Hannover ist dieses Thema ein sehr wichtiges. Zusätzlich sind weitere Erneuerbare Energien wie z. B. Photovoltaikanlagen und auch Geothermie zu berücksichtigen.“

Der Wolf kommt in einigen Gebieten Deutschlands wieder, bspw.
Niedersachsen oder Sachsen – sollte man ihn jagen oder streng schützen?

„Der Wolf trägt nach seiner Rückkehr zur Artenvielfalt bei. Über den Schutz und den Abschuss entscheiden die Bundesländer. In Debatten rate ich stets zu einem seriösen und vorurteilsfreien Umgang mit der Thematik. Außer Frage steht, dass der Schutz der Menschen oberste Priorität hat. Wölfe, die eine Gefährdung für den Menschen darstellen, müssen rechtssicher entnommen werden können. Grundsätzlich bin ich der Überzeugung, dass die Probleme mit wirksamen Schutzmaßnahmen pragmatisch gelöst werden können und das Zusammenleben von Wolf, Mensch und Nutztier annähernd konfliktfrei organisierbar ist.“

Heutzutage muss man sich Nachhaltigkeit leisten können, was ist mit sozial schwachen Familien?

„Vorweg ist es mir wichtig, zu betonen: Wenn mit dieser Frage Familien gemeint sind, die ökonomisch schwächer aufgestellt sind, kann hier nicht von sozial schwachen Familien gesprochen werden. Denn nur weil man weniger Geld zur Verfügung hat, ist man nicht sozial schwach.
Unser Anspruch muss es sein – und darauf wirke ich in meiner Zuständigkeit immer wieder hin – dass Nachhaltigkeit keine Frage des Geldbeutels sein darf. Deshalb muss alles daran gesetzt werden, dass die sozial-ökologische Transformation tatsächlich sozialverträglich vollzogen wird. Der Bund und die Länder müssen da, wo es notwendig ist, unterstützen. Der Umstieg in neue Formen der Mobilität oder auch beim Umbau der Gebäude muss für bestimmte Bevölkerungsgruppen massiv gefördert werden.“

Wie weit darf Ihrer Meinung nach Aktivismus gehen? (Bsp: Klima-Kleber, Museen und Lützerath) → Podiumsdiskussion: Wie extrem darf Aktivismus sein?

„Politik darf sich nicht erpressbar machen. Demokratie lebt von Aushandlungsprozessen. Deshalb muss Politik immer auch damit rechnen, dass es Proteste und Demonstrationen für oder gegen Entscheidungen gibt. Politische Entscheidungen zu treffen, nur um Proteste um jeden Preis zu beenden, ist allerdings keine zielführende Richtschnur, da sich Politik durch entsprechende Forderungen und das Einlassen auf diese erpressbar macht. Um die großen Fragen des Klimaschutzes zu lösen, müssen unterschiedliche Interessen einbezogen werden, damit eine langfristige und tragfähige gesellschaftliche Akzeptanz erreicht wird. Empathie für Interessensgegensätze ist dabei Grundvoraussetzung für das demokratische Gelingen. Wenn die Aufrechterhaltung der Proteste an eine offenkundig verfassungswidrige Einrichtung wie die eines nicht-demokratisch legitimierten „Gesellschaftsrates“ auf Vorschlag der „Letzten Generation“ geknüpft ist, entfällt die Grundlage für seriöse Verständigungen. Mit dem von der SPD durchgesetzten Klimaschutzgesetz steht ein Instrumentarium zur Verfügung, das genau die Diskussion über konkrete Maßnahmen ermöglicht und erfordert, da es durch einen unabhängigen Sachverständigenrat überprüft wird. Die Erreichung der Ziele wird nicht durch das Festkleben an Gegenständen erreicht werden, sondern nur durch einen intensiven gesellschaftspolitischen Dialog auf allen politischen Ebenen, indem man sich z. B. für den massiven Ausbau der erneuerbaren Energien einsetzt.“

3) Fragen zur Partei

Was schätzen Sie am meisten an der momentanen Regierung/Opposition, und was könnte sie Ihrer Meinung nach noch besser machen?

„An unserer aktuellen Bundesregierung schätze ich die Bereitschaft sehr, Verantwortung für die Zukunft Deutschlands zu übernehmen und dabei die notwendige Modernisierung voranzutreiben, stets in dem Bewusstsein, dass dieser Fortschritt auch mit einem Sicherheitsversprechen einhergehen muss. Beispielsweise ist die Novelle des Erneuerbaren Energien-Gesetzes zu nennen, bei der Erneuerbaren ein gesetzlicher Vorrang zugesprochen und gesetzlich festgelegt wurde, dass die erneuerbaren Energien im überwiegenden öffentlichen Interesse liegen und der öffentlichen Sicherheit dienen.
In einer Demokratie ist seriöse Oppositionsarbeit von essentieller Bedeutung. Stark ist es, wenn die Opposition es schafft, bei der Bewältigung von Krisen konstruktiv mit der Regierung zusammenzuarbeiten und so beispielsweise die Unionsfraktion für das Sondervermögen Bundeswehr im Bundestag gestimmt hat.“

Wo liegt die Stärke Ihrer Partei, wo die Schwächen?

„Die SPD wird in diesem Jahr 160 Jahre alt. Sie zeichnet aus, dass sie in jeder Faser für soziale Gerechtigkeit steht. Mir sind viele Biografien bekannt, die nicht so gut verlaufen wären, wenn die SPD sich nicht für Chancengerechtigkeit z. B. in der Bildung eingesetzt hätte. Am stärksten ist die SPD, wenn sie zusammensteht und zwischen die einzelnen Akteur:innen kein Blatt passt.“

Stimmen Sie in allen Belangen mit Ihrer Partei überein?

„Im Großen und Ganzen ja.“

Mit welcher Partei gehen Sie am liebsten eine Koalition ein?

„Die SPD hatte mit Bündnis 90/Die Grünen in den vergangenen Jahren auf verschiedenen politischen Ebenen die größte Schnittmenge und das schätze ich aktuell ebenso ein.“

Was macht Ihre Partei, um dem sinkenden Wahlinteresse entgegenzuwirken?

„Die SPD ist Kümmerpartei. Die Genoss:innen haben ihre Ohren ganz nah bei den Bürger:innen und kümmern sich verlässlich um Anliegen. Ich glaube, dass Menschen merken, dass sie sich auf die SPD verlassen können, ist bedeutsam, um politischen Prozessen und Verantwortlichen Vertrauen entgegenzubringen und dem sinkenden Wahlinteresse somit entgegenzuwirken.“

Von Mara Korte

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