Kurt und der Schandbote präsentieren: Gift

„Ihr müsst sie lieb und nett behandeln,
erschreckt sie nicht – sie sind so zart!
Ihr müsst mit Palmen sie umwandeln,
getreulich ihrer Eigenart.

Wenn sie in ihren Sälen hetzen,
sagt „Ja und Amen – aber gern!
Hier habt ihr mich – schlagt mich in Fetzen!“
Und prügeln sie, so lobt den Herrn.

Denn Prügeln ist doch ihr Geschäft!
Küsst die Faschisten, wo ihr sie trefft.“

aus: „Rosen auf den Weg gestreut“ (1931) von Kurt Tucholsky (1890-1935)

Hoffnungslos klingt dieses Gedicht des deutschen Satirikers Kurt Tucholsky aus dem Jahr 1931. Man solle vor den Faschisten kapitulieren, den Widerstand sein lassen. Zwei Jahre später folgt die Machtergreifung Adolf Hitlers, die Demokratie neigt sich dem Ende zu.

Fünf Jahre später beginnt das dunkelste Kapitel der deutschen Geschichte, welches Millionen Menschen das Leben kostet und das wohl giftigste Gedankengut in unsere Welt setzt. Dieses Kapitel hat viele Namen: Zweiter Weltkrieg, Holocaust oder Shoah, Porajmos – Verbrechen an der Menschheit, begangen von – nun – ebenfalls Menschen. Obwohl ich den Nationalsozialisten gern die Menschlichkeit absprechen würde. Oder macht genau dieser Fakt sie so grausam?

2024, de facto vereintes Deutschland. Und doch ist die Gesellschaft so gespalten. Und doch stimmt knapp ein Viertel Deutschlands für eine Partei, welche die Mentalität der Nationalsozialisten in Geschenkpapier verpackt und als die Alternative für Deutschland präsentiert – das nennt man auch Rechtspopulismus.

Ein Viertel unserer Mitmenschen wählt eine Partei, dessen Mitglieder vereinzelt bei einem privaten Treffen in Potsdam eine Deportation von gut 25% der deutschen Bürgerinnen diskutierte, verpackt unter dem harmlosen Namen „Remigration“.
Ein Viertel unserer Mitmenschen hat nichts aus der Vergangenheit gelernt. Oder sie halten sich die Ohren zu. „Jetzt reicht’s doch auch mal – es ist über 80 Jahre her.“

Und es tauchen wieder Hakenkreuze auf. Manche versteckt – andere gut sichtbar. Einige verschlüsselt – andere plakativ mit Nazi-Parolen versehen. Manche aus Witz, manche aus purem Ernst. Aber kann ein Hakenkreuz überhaupt scherzhaft sein? Erklärt mir, wo steckt die Pointe in einem Hakenkreuz-Graffiti auf der Schultoilette? Meine Mitschüler- wo steckt die Pointe darin, ein Hakenkreuz in einen Laptop zu ritzen?
Wo steckt die Pointe darin, einen SS-Aufkleber auf den Mast zu kleben?

Leichtsinn – natürlich. Ihr seid noch jünger, unbedacht – so sind Jugendliche nun mal.

Schnauze!

Wie kann man unbedacht ein Symbol zeichnen, welches das Sinnbild für Grauen ist? Ihr seid euch bewusst, wofür all die Zeichen stehen – an diesem Punkt ist auch nicht mehr von Zeichen zu sprechen – sondern von einer furchtbaren Gesinnung. Das Hakenkreuz kann nicht eigenständig existieren. Nein – kommt mir nicht mit dem Swastika als hinduistisches Glückssymbol. Wer in Deutschland das Hakenkreuz zeichnet meint klar und deutlich „das andere“. Das andere, an dessen vier gewinkelten Armen Blut klebt – altes, geronnenes – wie auch frisches, noch leuchtend rotes.

„Jugendliche wollen provozieren“ – Und wer sich bewusst ist, dass nationalsozialistische Symbole verboten sind und sie aus Provokation schmiert, der ist sich auch bewusst warum das Verbot zustande kam. Der ist sich dem Hintergrund wohl bewusst. Nur ist der Hintergrund für jene Individuen kein Problem – vielleicht sogar die reine Motivation.
Wer einfach nur Vandalismus betreiben will, kann auch zum Phallus-Symbol greifen und muss nicht die Nationalsozialisten verherrlichen. Aber vielleicht lasst ihr den Vandalismus auch völlig sein.

„Ich bin doch kein Nazi“ – Dann reiß den verdammten SS-Sticker sofort ab. Und nun die Sache mit der Alternative für Deutschland. Um welche Alternative geht es überhaupt? Gut, raus mit all jenen mit Migrationshintergrund – unabhängig ob sie deutsche Staatsbürger waren oder nicht – unabhängig ob sie hier arbeiten, studieren oder zur Schule gehen. Und raus mit allen anderweitig Anderen! Raus mit ihnen!
Dann seht euch um, und eure halbe Klasse steht nicht mehr auf der Anwesenheitsliste. Eure liebste Dönerbude hat geschlossen – und ihre Konkurrenz um die Ecke ebenso. Eure Freunde sind plötzlich verschwunden. Und wer pflegt dich, wenn du alt und krank bist – ein Großteil der Pflegekräfte ist nicht mehr da. All diese Menschen, die uns vermeintlich die Jobs wegnahmen, haben sich um das Land gekümmert.
Und nun hat dieses Land sie gehen lassen nur weil sie anders heißen
aussehen
anders leben
glauben
lieben
essen
feiern
-wozu?

Das beschriebene Szenario scheint gar nicht so weltfern, schließlich hat es sich im vergangenen Jahrhundert in ähnlicher Form abgespielt. Und obwohl wir daraus hätten lernen können, haben wir es nicht.
Denn wir lassen Menschen im Parlament sitzen, die dieses Gift weiter in die Welt setzen. Die dieses Gift als Heilmittel für Verunsicherungen nutzen – die auf jede komplizierte Frage eine so leichte Antwort finden, inklusive eines Schuldigen! Hammer! (Das nennt sich Propaganda.)
Diese Menschen im rechten Flügel machen Karriere, mächtig viel Geld, mit Menschenhass.

„In Deutschland herrscht aber Meinungsfreiheit“

Doch diese hört dort auf, wo die Unterdrückung von anderen, marginalisierten Personengruppen beginnt. Das Dilemma der Demokratie – dass auch demokratiefeindliche Ansichten durchkommen, endet im Selbstmord der Demokratie. Wollen wir, dass sich die Geschichte wiederholt? Tatenlos zusehen, kapitulieren, bis auch der kleinste Faschist erwacht, wächst, und die Welt erneut vergiftet?
Die Faschisten mit Palmen umwedeln, getreu ihrer Eigenart?

„Und wenn ihr in eurer Magengrube
Die Klinge des Nazi-Dolchs spürt
Küsst den Faschisten
Küsst den Faschisten
Den ihr geschaffen habt.“

aus der gleichnamigen jiddischen/englischen Adaption von Daniel Kahn.

Faschismus kann man nicht neutral gegenüber stehen. Und Hakenkreuze sind und bleiben hasserfüllt. Wer die Alternative zur deutschen Demokratie wählt, bekommt keine Demokratie.

 

Der Schandbote

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